Zum ersten Mal: Brevet durchs Land der Mühlen

Einmal ist immer das erste Mal. Und so kam es, dass sich unser Jens am Start von seinem ersten Brevet wiederfand. Hier ist sein Erfahrungsbericht.

Dieser Text von Jens erschien im lifeCYCLE Magazine #19. Nun war es also so weit: Nachdem ich schon Vieles mitgemacht habe, RTFs (siehe Ausgabe #9, Anm. d. Red.), verschiedene Challenges, regelmäßige Ausfahrten, die jährliche Urlaubsreise mit der Familie, die täglichen Pendel- und Versorgungsfahrten und sogar ein Rennen, stand nun mein erstes Brevet in Holland an, zu dem Peter mich überredet hatte. Auch dieses wollte ich nach meinem Motto „kämpfen statt siegen“ angehen. Wobei man mir und allen anderen Startern mehrfach einschärfte, dass es sich eben nicht um ein Rennen, sondern um eine Prüfung handele.

Brevet in Holland: Besser ruhig, als ballern!

Wie bei jeder Radsportveranstaltung haben aber mal wieder einige nicht richtig zugehört und es wurde auch auf meinem Brevet in Holland gleich ordentlich geballert. Zum Glück war ich in erfahrener Begleitung. Immerhin hat Peter schon einige solcher Langstreckenfahrten hinter sich – nebst einer PBP-DNF (Paris-Brest-Paris „Did not finish“) aufgrund eines technischen Defektes. So wies er mich darauf hin, dass wir den deutlich über 30 liegenden Schnitt im Gegenwind eventuell nicht noch die nächsten 140 Kilometer aufrechterhalten könnten, womit er sicher Recht hatte. Ausprobiert haben wir es nicht.

Homologation
Beamtenradsport? Ein üppiges Reglement samt Stempelkarte würden auch beim Brevet in Holland diese Bezeichnung durchaus rechtfertigen. Unterwegs fühlt es sich dann aber doch eher an wie ganz normales Radfahren.

Nachdem wir also abreißen ließen, randonnierten wir nun etwas gemütlicher vor uns hin. Die Strecke war von Moni und Michi bestens gescoutet und führte zu über 90 Prozent durch die Niederlande – überwiegend auf asphaltierten Nebenstrecken, aber auch über rumpelige Ortsdurchfahrten. Es ging vorbei an zahlreichen Mühlen – schließlich hieß die Fahrt auch „Mühlentour“. Ansonsten viel Flachland, viel Wasser, viel Gegenwind, aber auch Motivation in Form von Tüten-Pommes. Auch wenn mywindsock.com nur eine 51-prozentige Quote „Headwind“ auswies: Angefühlt hat es sich anders.

Brevet in Holland: Alles nur Vorurteile?

Vorbehalte gegenüber dieser Veranstaltung gab es viele. Schließlich, so erzählt man sich, fahren hier nur die richtigen Nerds und knallharten Langstreckenfahrer, ohne Pause und im Zweifel mit Nickerchen auf dem Rad oder einer Parkbank. Diese Art des Übernachtens wird ja heutzutage auch in der Bikepackingszene praktiziert, wobei hier sicher noch etwas mehr Anspruch an die Übernachtungslocation gelegt wird. Ebenso hatte das Brevet in Holland von außen betrachtet einen Hauch von „Beamtenradsport“, ähnlich dem RTF-Wesen, mit Stempeln und Punkten für in diesem Falle unterschiedlich lange Brevets. Denn über allem schwebt immer der Geist von Paris-Brest-Paris, jener Königsetappe des Brevet-Radsports: Wem es gelingt, im Jahr der PBP-Austragung (nächste Ausgabe 2023) ein 200er, 300er, 400er und 600er Brevet zu finishen, ist berechtigt, sich um einen Startplatz bei Paris-Brest-Paris zu bemühen.

Brevet in Holland
Es gab viel Wasser und ebenso viel Motivation in Form typisch niederländischer Leckereien…

Eine Teilnahmegarantie stellt die Qualifikation nicht dar, da es deutlich mehr Interessent:Innen als Startplätze gibt. Für die dann dort zu bewältigenden 1.200 Kilometer bleiben den 6.000 Teilnehmer:Innen dann höchstens 90 Stunden. An unterschiedlichen Checkpoints gibt es die Möglichkeit, kurze Powernaps einzulegen. Wer hier Näheres wissen möchte, dem sei der Film „Brevet“ empfohlen.

Nachdem wir nun unser eigenes Tempo gefunden hatten, trafen wir immer wieder einige der etwa 150 Teilnehmer:Innen, die entweder uns einholten oder durch uns eingeholt wurden. So kam es regelmäßig zu kurzen Plauschs mit dem üblichen Radfahrer-Small-Talk, wobei die Frage nach dem Woher und Wohin sich an diesem Tag erübrigte. Immer wieder gab es Gelegenheiten zu Kaffeepausen, allerdings haben wir nicht jede genutzt, da wir sonst doch deutlich das Zeitlimit gerissen hätten. Im Städtchen Heusden, welches einen nicht zu übersehenden Disneyland-Flair versprüht, gab es den begehrten Wendepunkt-Stempel und man sah viele – vor allem Rennradfahrer:Innen – mit Pommestüten in der Hand oder im Café sitzend. Frisch gestärkt ging es ab hier auf die letzten 90 Kilometer von meinem Brevet in Holland. Nach neun Stunden erreichten wir ohne eine einzige Panne, vom ständigen Absturz des Radcomputers mal abgesehen, das Ziel. Die ersten Teilnehmer waren bereits geduscht und hatten sich mit Gulasch- oder Tomatensuppe gestärkt. Nachdem auch wir die Energiespeicher mit heißer Suppe wieder etwas gefüllt hatten und weitere Finisher begrüßten, machten wir uns auf den Heimweg. Dazu gab’s noch den ein oder anderen Schnack über die klassischen Themen bei einer solchen Veranstaltung: Pläne, Technik, Erlebnisse.

Lecker Pommes als Lohn für die Plackerei.

Leider blieb mir mein Tacho den Nachweis über die geleisteten Kilometer schuldig. Somit gab es keine Strava-Kilometer und eine alte Regel besagt ja nun mal, dass diese Fahrt dann nicht stattgefunden hat. Alles in allem bleibt festzuhalten, dass es sich bei einem Brevet, so wie ich es erlebt habe, um eine sehr bunte Veranstaltung handelt. Nicht nur die unterschiedlichsten Charaktere begegneten mir hier, sondern auch die unterschiedlichsten von diesen genutzten Fahrzeuge. Neben klassischen Rennrädern und mit Licht, Schutzblechen und Gepäckträgern ausgestatteten Randonneur-Rädern wurden auch Liegeräder, Velomobile, aber auch Mountain- und Tourenbikes von mir gesichtet. Wer bereits ein langstreckentaugliches Rad besitzt, muss nicht viel investieren, um an dieser Veranstaltung teilzunehmen. Die Startgebühr betrug 8 Euro (ohne Medaille, mit: 17 Euro). Bleiben noch die Anfahrt und die Verpflegung, welche viele der Fahrer und leider wenigen Fahrerinnen zu einem großen Teil dabeihatten. Ein Wermutstropfen bleibt: Auch, wenn wir mit immerhin etwa 20 Leuten in den Zug aus Richtung Düsseldorf in Kevelaer entstiegen, war der Parkplatz am Veranstaltungsort prall gefüllt, da der Großteil der Fahrer*Innen mit dem Pkw anreiste. Ob es an den Bahnanbindungen oder der individuellen Mobilitätsroutine liegt, vermag ich nicht zu beurteilen. Auffällig ist jedoch, dass vielen der Radsport ohne das Auto nicht möglich ist oder erscheint.